Opportunitätskosten – das ist das was dir entgeht, wenn du bestimmte Entscheidungen nicht triffst. Was für Entscheidungen und was für Kosten das sind ist natürlich sehr differenziert zu betrachten und kann vielfältige Formen annehmen.
Da ich mich hier (auch) mit Kampfkunst beschäftige können wir es ja mal an diesem Beispiel durchdenken. Natürlich gilt Vergleichbares auch wenn du dir vorgenommen hast ein Buch zu schreiben, einen neuen Skill für deinen Job zu
erlernen, deinen ersten Marathon zu laufen, oder ähnliches.
Sagen wir mal du bist in etwa so wie ich: Judo, Bujinkan, Karate, oder meinetwegen auch Dressurreiten sind dir sehr wichtig. Du kannst allerdings nicht beliebig oft trainieren, sei es, weil die Halle die du brauchst nicht unendlich oft zur Verfügung steht, weil dein Trainer nicht immer Zeit hat, oder oder. Dazu kommt vermutlich, dass du einen Job hast, eine Ausbildung machst, in die Schule gehst, oder deine Zeit die dir zur freien Verfügung steht sonst wie eingeschränkt ist.
In diesem Fall muss man sich immer wieder neu entscheiden:
- Gehe ich zum Training oder treffe ich mich mit Freunden?
- Gehe ich zum Training oder bin ich heute mal zu kaputt und schaue lieber einen Film?
- Fahre ich am Wochenende auf das Seminar? Ich könnte auch ausschlafen und durch die Stadt bummeln.
- Bereite ich mich intensiv auf eine Prüfung vor? Dann habe ich noch weniger Tage die Woche Zeit…
Und die Entscheidung ist wichtig. Wichtiger vielleicht als zunächst klar wird. Ich will nicht heucheln und sagen es sei unabdingbar zu jedem Training zu gehen. Manchmal ist es mir auch zu viel, zu spät, ich bin zu müde oder etwas Anderes ist wirklich wichtig, ABER: Wichtig ist, dass du dir der Opportunitätskosten bewusst bist.
Was meine ich jetzt damit?
Ganz einfach: Wenn du sagst du bist müde und gehst nicht zum Training, so nehmen wir mal Best-Case und Worst-Case Szenarien an, die halbwegs realistisch sind.
Best-Case | Worst-Case |
Du erholst dich gut und bist deutlich entspannter.
Später erzählen dir deine Trainingskollegen, dass du nichts Besonderes verpasst hast. Der Trainer war krank, sie haben ein paar Fitness-Übungen und danach Randori gemacht. Es gab schon bessere Trainings. |
Du erholst dich nicht. Stattdessen denkst du nur daran, dass du bestimmt etwas beim Training verpasst.
Deine Trainingskollegen erzählen dir später vom super Training. Ihr habt vielleicht eine neue Technik gelernt, vielleicht sogar eine, die du für deine nächste Prüfung brauchen würdest. Und jetzt wird sie erstmal länger nicht mehr in der Detailtiefe besprochen. |
Man sieht sehr schnell: Dies sind einfache Beispiele. Und wäre es wirklich schlimm eine Technik zu verpassen? Nein, natürlich nicht. Die allerwenigsten von uns brauchen Judo, Bujinkan, oder welches Hobby auch immer sie haben „zum Leben“. Deine Grundversorgung hängt nicht davon ab. Aber vielleicht ja dein Seelenfrieden. Jeder hat etwas Anderes, was ihn antreibt, motiviert, „what makes him tick“. Also schauen wir uns die Beispiele nochmal genauer an:
Worst-Case: Hier würde man denken es wäre ja relativ einfach. Die Technik verpasst zu haben ist ärgerlich. Aber ich kann meinen Trainer ja nächste Woche fragen, ob er sie nicht nochmal zeigen kann. Klar. Das wird er vielleicht auch tun. Allerdings hat er dann weniger Zeit dir und auch anderen das beizubringen, was er sich eigentlich überlegt hatte. Und mal angenommen wir reden von einer didaktisch durchdachten Unterrichtseinheit die für eine ganze Stunde geplant war: In der Komplexität wird er es vermutlich nicht in der Folgewoche direkt wiederholen. Klarer Fall. Aber wie sieht es mit dem Best-Case aus?
Best-Case: Dies ist der deutlich interessantere Fall. Warum? Weil man die Bedeutung so leicht unterschätzt. Ja, die anderen haben nichts „Neues gelernt“ (oder? Und selbst, wenn sie es nur vertieft geübt haben…). ABER: Weißt du, was DU verpasst hast? Ich kann mich beispielhaft an ein konkretes Training erinnern: Ich weiß nicht mehr genau, wie es anfing, weiß aber sehr wohl noch, dass wir gegen Ende Randori gemacht haben. Ich hatte zu dem Zeitpunkt einen Partner, mit dem ich selten trainiert habe. Dementsprechend hatte ich einige Würfe an ihm vermutlich noch nie probiert. Und natürlich war er etwas anders beschaffen als andere Trainingspartner von mir, hat sich anders bewegt, hatte ein anderes Gleichgewicht und und und. Warum ich das erzähle? Bis zu diesem Tag hatte ich immer Probleme mit Uchi-Mata. Ich konnte nicht genau sagen warum. Technisch wurde er mir schon gezeigt, ich hatte ihn halbwegs akzeptabel (mehr vermutlich aber auch nicht) für die Nage-No-Kata aufbereitet und dann? Im Training hat er nie so richtig geklappt. Und nun? Aus dem „langweiligen“ Training wurde auf einmal ein Moment des Erkenntnisgewinns. Und dabei ist erstmal total egal, WAS mir klargeworden ist (du liest noch? Ok, es hatte etwas mit Kuzushi zu tun…). Wichtig ist nur: Wäre ich an dem Tag nicht zum Training erschienen wäre es mir vielleicht erst deutlich später klargeworden. Hätte ich eine ähnliche Erfahrung mit einem anderen Uke in einem anderen Randori machen können? Bestimmt. Aber wann? Und mit wem? Es passte halt. Dementsprechend kannst du vor einem Training/Lernsession/Schreibmarathon/… nicht wissen, was dich erwartet. Selbst wenn man – wie ich – knapp 25 Jahre wöchentlich ähnliche Situationen erlebt: Manchmal gibt es einfach besondere Elemente.
Mein Japanisch reicht leider bei weitem nicht aus, um komplexe Sachen selbstständig zu übersetzen, aber eine beliebte Translation der Bujinkan-Eingangsformel
詞韻
波羅蜜
大光明
(„Shikin Haramitsu Daikomyo”)
Ganz grob übersetzt bedeutet dieser Satz (nach meinem heutigen, sehr limitierten Verständnis und keinesfalls wörtlich) u.a. so etwas wie:
“Jede Erfahrung bietet die Möglichkeit uns die Erleuchtung zu bringen, nach der wir suchen.“ Share on X
Und daran glaube ich mittlerweile. Ob es nun eine Erleuchtung im buddhistischen Sinne sein muss, ob man einfach ein kleines Detail besser versteht oder ob man das was man schon kann ausbaut, präzisiert, vervollkommnet. Letztendlich auch fast egal. Es ist einfach wichtig sich aktiv dafür zu entscheiden an sich zu arbeiten.
Dementsprechend ist es fast gar nicht möglich die Opportunitätskosten abzuschätzen, die dir entstehen, wenn du faul bist. Und ja, ich weiß auch: Jeder braucht Pausen. Doch das führt uns zum nächsten Punkt. Den Gewohnheiten.
Gewohnheiten sind sehr wichtig für uns Menschen. Hiermit bezeichnen wir Dinge, die für uns selbstverständlich sind. Wir müssen nicht groß darüber nachdenken, oder entscheiden, ob wir sie durchführen. Für die meisten von uns fällt bspw. Zähneputzen in diese Kategorie. Wenn ich abends (na gut, meist eher nachts…) im Bad stehe, muss ich nicht aktiv darüber nachdenken, ob ich mir die Zähne putzen will. Ich muss keine entweder/oder Entscheidung treffen. Ich habe mir angewöhnt einfach meine Zähne zu putzen. Es ist eine Gewohnheit geworden.
Warum ist das so wichtig? Weil es uns Energie kostet Entscheidungen zu treffen. Ganz ehrlich: Sobald ich aktiv darüber nachdenken muss, ob ich zum Training gehe oder nicht besteht die Möglichkeit, dass ich mich dagegen entscheide (und stattdessen etwas in meinen Augen Unproduktiveres tue). Habe ich mir über die Jahre hinweg angewöhnt zum Training zu gehen, so denke ich darüber nicht nach. Auch für meine Freunde, Bekannten, etc. ist klar: Montag abends wird Florian nichts mit mir unternehmen. Es sei denn ich komme zum Judotraining nach Werther.
Dadurch, dass wir diese Entscheidung zu einer Gewohnheit transformieren sparen wir mentale Energie, die wir auf andere Dinge verwenden können.
Das ist vielleicht etwas abstrakt, aber überleg mal: Wenn du in eine neue Schule gekommen bist, einen neuen Job angefangen hast, oder vielleicht eine Sportart begonnen hast: Vermutlich warst du nach einem Tag in deiner neuen Umgebung abends ziemlich erschöpft und wolltest dich nur noch ausruhen (Nein? Erklär mir bitte wie du das machst 😉 ). Das liegt u.a. daran, dass du nicht nur die anfallenden Aufgaben und Projekte erledigen musst. Das liegt viel mehr auch daran, dass du dich auf die neue Situation einstellen musst.
Wenn ich jetzt zur Arbeit gehe weiß ich, mit welchen Kollegen ich über welche Fachthemen reden sollte. Ich weiß beim Sport wo die Umkleiden sind, wie der Umgangston ist und was für ein Verhalten erwartet wird. Dies alles belastet mein mentales „Leistungskonto“ nicht mehr. Ich kann mich auf die Dinge konzentrieren, die meine Aufmerksamkeit benötigen, weil sie eben nicht jedes Mal gleich sind.
Und so probiere ich bei der Arbeit konzentriert an Projekte heranzugehen und arbeite auch mal eine Mittagspause durch (Opportunitätskosten: Sozialer Kontakt) um dann aber, wenn gerade „tote Zeit“ entsteht, gerne mit Kollegen Kaffee zu trinken Opportunitätskosten: Gering, da ich im Projekt gerade wenig bis nichts tun kann).
Im Buch „Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede“ von Haruki Murakami erzählt der Autor sehr schön von den Zeiten zu denen er sich täglich hinsetzt um zu schreiben, aber auch zu denen er sich täglich aufmacht um zu laufen. Ob bewusst oder unbewusst meistert er das Konzept der Habitualisierung sowohl im Job, als auch in der Freizeit (und Bestseller und zig beendete Marathons sind ein ganz guter Beweis der Effektivität finde ich). Daran arbeite ich noch und werde es wohl auch mein Leben lang weiter tun, aber jeder kleine Schritt, jede neue, positive, Gewohnheit bringen mich ein Stück näher an das, was ich gerne wäre. Vielleicht helfen dir diese Gedanken also auch.
Fazit:
- Wenn man sich dafür entscheidet etwas zu tun wird man immer mit den Opportunitätskosten leben müssen.
- Wenn man sich dafür entscheidet etwas zu tun sollte man versuchen möglichst viele Komponenten zu Gewohnheiten werden zu lassen. (Ja, man kann versuchen diese aktiv zu transformieren, aber das wäre ein Thema für einen weiteren Eintrag.)
- Auch die Entscheidung, dass man eine Idee nicht weiter verfolgen möchte kann durchweg gut sein. Du hast angefangen an einer App zu arbeiten, aber du kommst nicht voran, es macht keinen Spaß und du bist nicht finanziell oder anderweitig darauf angewiesen sie zu Ende zu programmieren? Hör auf. Die Opportunitätskosten in anderen Bereichen sind zu groß.
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